27. Januar
Celan Bertolt Brecht
„Zweifellos hat Celan den »Kommunisten ohne Parteibuch«, den kompromisslosen Gegner der Nazis und Exilanten, der immer zu seiner jüdischen Frau Helene Weigel stand, den revolutionären Theatermacher (einige seiner Stücke hat er auf der Bühne gesehen) und auch den Lyriker Brecht hoch respektiert (für eine umgekehrte Kenntnisnahme Celans durch Brecht … gibt es keine Anhaltspunkte). …
Am 21. November 1967 zeigt er Franz Wurm an, dass er, nach seinem Umzug in die Rue de Tournefort, »endlich Dr. Unselds gesammelten Dünndruckbrecht [die achtbändige Ausgabe von 1967] auf würdige Weise aufstellen konnte« (Celan/Wurm, 114). Aber es gibt letztlich nur ein Zeichen von eminenter Bedeutung für C.s Auseinandersetzung mit Brecht…: das Gedicht Ein Blatt, baumlos/ für Bertolt Brecht aus dem Nachlassband Schneepart von 1971 (GW II, 385), ein kurzer, später Text (entstanden im Juli 1968 während einer Deutschlandreise), der sich explizit auf Brechts berühmtes Exilgedicht An die Nachgeborenen … bezieht, und zwar auf die Zeilen »Was sind das für Zeiten, wo/ Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist/ Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!« … Brechts Botschaft ist so gewichtig wie simpel: Die Terrorherrschaft des Nazismus ist so mörderisch, dass die Menschen ihre Energie ausschließlich auf den Kampf gegen sie konzentrieren müssen. Über Bäume, die Schönheit der Natur zu sprechen, wäre Kräfteverschleiß an der falschen Stelle und damit Verrat an diesem notwendigen Kampf.
C.s Botschaft ist gleichfalls schlicht – und ebenso gewichtig. Sie kommt auf ungemein raffinierte Weise zustande: …durch zwei variierte Schlusszeilen: »Was sind das für Zeiten,/ wo ein Gespräch/ beinah ein Verbrechen ist,/ weil es so viel Gesagtes/ mit einschließt?«“
(Markus May Peter Goßens Jürgen Lehmann (Hrsg.) Celan-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Verlag J.B. Metzler Stuttgart·Weimar S.325f.)