31. Dezember

31. Dezember

Heiner Müller sagt im Gespräch mit Alexander Kluge: „Es gibt bei Brecht im >Ui< so einen Satz: ‚Wer raucht, sieht kaltblütig aus. Und wer raucht, wird kaltblütig.’ Vielleicht ist es das. Weil, du schließt dich kurz mit deiner Sexualität, wenn du rauchst, besonders Zigarren. Zigaretten – könnte ich wenig damit anfangen.“ (2’40“)

(© Alexander Kluge)

30. Dezember

Vor 25 Jahren, am 30.Dezember 1995, starb Heiner Müller.

Alexander Kluge hielt im Berliner Ensemble eine Trauerrede.

 

29. Dezember

»Erinnerung an die Marie A.«, Gedicht von Bertolt Brecht, mit Karin Baal.

28. Dezember

Das Hörspiel „Der Bau“ von Heiner Müller, nach den Motiven von Erik Neutsch‘ Roman „Spur der Steine“, wird heute, am 28.12.2020 um 22 Uhr auf „MDR KULTUR – Das Radio“ ausgestrahlt. Hier zu finden in der Mediathek des MDR.

https://www.mdr.de/kultur/videos-und-audios/audio-radio/audio-heiner-mueller-der-bau-100.html

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27. Dezember

Für alle, die es live verpasst haben: Das Berliner Ensemble zeigt begleitend zum Stream von Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ (Regie: Brecht/Engel) ein Online-Publikumsgespräch zur historischen Inszenierung und zur Aktualität Brechts. Mit Dr. Erdmut Wizisla, Leiter des Bertolt-Brecht-Archiv, und Jürgen Kuttner. Gesprächsleitung Johannes Nölting.

https://www.berliner-ensemble.de/be-live

 

26. Dezember

David Tschöpe: Hörspiel „Das Horoskop“ aus Brechts „Geschichten vom Herrn Keuner“

 

 

25. Dezember

Brechts alltägliche Sprache – ein kleines Wörterbuch:

a. Lobwörter

normal

freundlich

nützlich

hilfsbereit

begabt

lustig

echt

 

b. Schimpfwörter

korrupt

verkauft

Ausbeuter

undialektisch

unmarxistisch

 

c. Im Theater

zeigen

ausprobieren

Widerspruch

trocken

sprechen

Fabel

warum?

warum?

und immer wieder: warum?

 

Lieblingstier 

Sein Hund Rolf

 

Lieblingsfarbe

grau

 

Lieblingsmaterial

Leder

Holz

 

(Brechts Lai-tu. Erinnerungen und Notate von Ruth Berlau, Eulenspiegel-Verlag, S. 283)

 

24. Dezember

Die gute Nacht

Der Tag, vor dem der große Christ

zur Welt geboren worden ist,

war hart und wüst und ohne Vernunft.

Seine Eltern, ohne Unterkunft,

fürchteten sich vor seiner Geburt,

die gegen Abend erwaret wurd,

denn seine Geburt fiel in die kalte Zeit.

Aber sie verlief zur Zufriedenheit.

Der Stall, den sie doch noch gefunden hatten,

war warm und mit Moos zwischen seinen Latten,

und mit Kreide war auf die Tür gemalt.

daß der Stalll bewohnt war und bezahlt.

So wurde es doch noch eine gute Nacht,

auch das Heu war wärmer, als sie gedacht.

Ochs und Esel waren dabei,

damit alles in der Ordnung sei.

Eine Krippe gab einen kleinen Tisch,

und der Hausknecht brachte heimlich einen Fisch.

(denn es mußte bei der Geburt des großen Christ

alles heimlich gehen und mit List.)

Doch der Fisch war ausgezeichnet und reichte durchaus

und Maria lachte ihren Mann wegen seiner Besorgnis aus

denn am Abend legte sich sogar der Wind,

und war nicht mehr so kalt, wie die Winde sonst sind.

Aber bei Nacht war es fast wie ein Föhn,

Und der Stall war warm und das Kind war sehr schön.

Und es fehlte schon fast gar nichts mehr,

da kamen auch schon die Dreikönig daher!

Maria und Joseph waren zufrieden sehr.

Sie legten sich sehr zufrieden zum Ruhn

Mehr konnte die Welt für den Christ nicht tun.

 

(GBA 13, S.339f.)

 

In „Marianne“ reflektiert ein junger Bertolt Brecht über Beziehungen. Der auf Tagebuchaufzeichnungen basierende animierte Kurzfilm aus dem Jahr 2013 entstand beim New Yorker Produktionsbüro Ace&Son (Regie: Richard O`Connor).

 

23. Dezember

Weimar am Pazifik: Los Angeles als Kultur- und Musikstadt des Exils

„In dem Jahrzehnt zwischen 1940 und 1950 war Los Angeles die heimliche Hauptstadt der deutschen und österreichischen Exilkultur. Dort wurden einige der bedeutendsten deutschsprachigen Romane, Bühnenwerke und Gedichte verfasst. Man denke an Thomas Mann, Alfred Döblin, Bertolt Brecht oder Franz Werfel. Adorno und Horkheimer schrieben ihre Dialektik der Aufklärung.“ (SWR)

Und die Musiker, Komponisten, Regisseure? Arnold Schönberg, Erich Korngold, Ernst Krenek, Hanns Eisler, Bruno Walter, Otto Klemperer, Max Reinhardt. Ganz zu schweigen von den großen Filmregisseuren wie Ernst Lubitsch, Fritz Lang oder Billy Wilder.
Das hier aufgezeichnete Konzert stellt Komponisten vor, die in Los Angeles lange ihren Lebensmittelpunkt gefunden hatten, bis dann die McCarthy-Ära dieser Blüte ein jähes Ende bereitete.

Weimar am Pazifik: Los Angeles als Kultur- und Musikstadt des Exils

22. Dezember

James K. Lyon: Interview mit Barbara Brecht-Schall (7. Mai 1996)

Lyon: (…) in einem Brief an Korsch vom März 1944 schreibt Brecht: „Barbara geht zur High School und hat 3 Gedichte geschrieben, humoristische, was den Schock milderte.“ Haben Sie ihm die Gedichte selbst gezeigt?

Brecht-Schall: Selbstredend!

Lyon: Haben Sie Gedichte in einer Schülerzeitung oder -Zeitschrift oder sonstwo in den USA veröffentlicht?

Brecht-Schall: Nein. No one, no one, never, ever.

Lyon: Und haben Sie Gedichte auf Englisch und Deutsch geschrieben, oder nur auf Englisch?

Brecht-Schall: Englisch!

Lyon: Ich komme jetzt auf ein paar Titel von Gedichten, die Sie damals geschrieben haben wovon ich Kopien habe —

Brecht-Schall: — Papa war immer neidisch auf meine Dichtungen.

Lyon: Ja, das sagten Sie in einem Interview. Dort hieß es, er beneidete Sie wegen —

Brecht-Schall: — weil ich reimen konnte „like this“ (Handbewegung).

Lyon: Relativ leicht?

Brecht-Schall: Ja.

Lyon: So aus dem Ärmel geschüttelt?

Brecht-Schall: Aus dem Ärmel geschüttelt.

Lyon: Ist es Ihnen gar nicht schwer gefallen?

Brecht-Schall: Überhaupt nicht! Gar nicht!

Lyon: Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich in einer Hinsicht ehrlich bin — your spelling was lousy. But your English was exceptional for a person of your age, and I’m amazed when I read it.

(Brecht-Jahrbuch Volume 12, 1997, zitiert nach: https://search.library.wisc.edu/digital/AGPWNWIRP5X46I8B/pages/A5IUWPXZJZOXNA8V) 

21. Dezember

Vor sechs Jahren stieß ich im Brecht-Archiv bei der Vorbereitung einer GALILEI-Inszenierung auf die Tonbänder seiner Proben aus dem Jahr 1955/56. Beim Hören wurde mir klar, dass sechzig Jahre Erinnerungs- und Interpretationsschutt die Theaterarbeit Brechts verdunkelt hatten. Die Probenmitschnitte eröffneten mir einen neuen, ungefilterten Blick auf seine praktische Arbeit. Brechts Klugheit, seine Sinnlichkeit, seine Vitalität und die Überzeugung, diese überliefern zu müssen, waren der Motor für diese Unternehmung. Aus knapp einhundert Stunden Material entstand ein zweistündiges Konzentrat, das Brechts Stück folgt und dem Regisseur mit seiner Klugheit, seinem Humor, seiner Vitalität. Als mir klar wurde, dass die Ordnung der Dinge auch mit Lebendigkeit bezahlt wird, bezog ich den Musiker und Komponisten Joachim Werner in diese Unternehmung ein. Er verwob unzählige Probenschnipsel zu einem vielschichtigem Hörbild, einem wild tanzenden Fest Brechtscher Dialektik. Daraus hier ein siebeneinhalbminütiger Ausschnitt.

Die gesamte Edition umfasst 2 CDs mit Probenausschnitten und eine CD mit dem Feature von Joachim Werner, sowie ein Booklet, mit Fotos und Text in der Manier der Brechtschen Modellbücher. (Stephan Suschke)

 

20. Dezember

„Trommeln in der Nacht“: Brecht revisited

Im September 1922 fand die legendäre Uraufführung statt. Ort der Handlung: die Münchner Kammerspiele – eine akustische Zeitreise durch die Theatergeschichte.

https://www.br.de/radio/bayern2/trommeln-in-der-nacht-revisited100.html

19. Dezember

Ein kurzer Eintrag in Brechts Notizbuch aus dem Jahr 1941 besagt:

“Le[e] Masters epigramme als film. die personen der kleinen stadt rezitieren.”

Die Notiz hält ein Vorhaben von Brecht fest, die 1916 veröffentlichte Spoon River Anthology des amerikanischen Schriftstellers Edgar Lee Masters (1869–1950) als Film umzusetzen. Eine Begegnung zwischen beiden war dann in den Jahren 1944/45 geplant und sogar von Brechts Freund und “amerikanischem Mentor” Ferdinand Reyher in die Wege geleitet, fand jedoch nie statt. … Der wichtigste Grund, dass das Projekt wie das Hornberger Schießen ausging, war Masters’ Armut: er konnte sich die Eisenbahnfahrt zur Westküste nicht leisten…

Masters’ Spoon River Anthology besteht aus 212 kurzen Grabinschriften der Toten des fiktiven Dorfes Spoon River, so genannt nach dem Fluss Spoon, der in der Nähe des Geburtsorts von Masters, Lewistown im Bundesstaat Illinois, fließt. Die Epitaphien werden selbst von den Toten gesprochen und sollen das Leben in einer amerikanischen Kleinstadt satirisch darstellen.

(Gerrit-Jan Berendse – Brecht–Masters–Kunert, in: The Brecht Yearbook 44, S.1f. Copyright © 2019 by the International Brecht
Society

Edgar Lee Masters. THE HILL:

18. Dezember – intern 7

Kennedy-Platz, 10 Uhr morgens. Alles grau in grau. Wir schlüpfen durch den Bauzaun aufs Gelände und tauschen am Sicherheitscontainer persönliche Daten gegen Schutzhelme. Dann geht’s rein! Heutiger Tagesordnungspunkt: Location-Scouting im Großen Haus. Nicht irgendein großes Haus, DAS Große Haus, die sanierungsbedürftige Hauptspielstätte des Staatstheaters, das Jahrhundertprojekt. Der denkmalgeschützte Bau wird als Drehorte für ein Digitalprojekt des Berliner Videogestalters Bert Zander (Vita) gescoutet. Exklusiv für das Brechtfestival sollen Musikclips entstehen, bei denen Videoaufnahmen der Bolschewistischen Kurkapelle Schwarz-Rot an Augsburger Fassaden projiziert und abgefilmt werden. Eine Location könnte das Große Haus werden – Baustellencharme inklusive! Schon im Treppenhaus wird klar warum: „Sanierungsfall“ steht in schwarzer Schrift unter einem holzgerahmten Fetzen Tapete. Kunst am Bau? Kunst auf’m Bau! Entlang gesprayter Neonpfeile mäandern wir durchs Gebäude. Wir starten im Parkett, wo Flatterband den gespenstischen Zuschauerraum umzäunt. Vom Rang aus ließe sich gut auf den gefegten Boden projizieren. Weiter geht’s hinter die Bühne, wo Höhe und Tiefe imposant die Dimension des Bauvorhabens aufzeigen. Wahrlich ein Jahrhundertprojekt! Nostalgie-Flash dann im Foyer, das sich für eine Projektion besonders zu eignen scheint, bevor es zum Ausklang der kleinen Führung in den Gewölbekeller geht. Hier sieht’s noch ordentlich nach Arbeit aus. Davon haben wir gerade selbst genug, also lieber schnell zurück ins Büro. 

Fabian Schreyer, Veranstaltungsmarketing 

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17. Dezember

Ben Hartmann, der mit dem Pianisten Johannes Aue die Band „Milliarden“ bildet, über ihr Projekt zu Brechts Frauen beim Brechtfestival 2021:

„…was da genau passiert, da habe ich keinen blassen Schimmer! Das werden wir herausfinden und dann werdet ihr euch das anschauen können bei den Augsburger Festspielen…äh… was steht da? Beim Brechtfestival!“

 

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16. Dezember

„Mit schwerem Herzen, aber hochkarätigen Programm: Tom Kühnel und Jürgen Kuttner betreten mit dem Brechtfestival 2021 nur noch die digitale Bühne.“

Kompletter Artikel in der heutigen Printausgabe der Augsburger Allgemeinen und online.

15. Dezember – intern 6

Wir sind im großen Sitzungssaal im Rathaus. Der Kulturausschuss tagt heute und die Festivalleiter stellen den aktuellen Stand der Festivalplanung vor.

„Produktion statt Reproduktion“ – das gilt auch wieder 2021 für das Brechtfestival, sagt Jürgen Kuttner – gemeinsam mit Tom Kühnel künstlerischer Leiter des Brechtfestivals. Lieber selber machen, als Fertiges abspielen. Darauf haben auch Künstler*innen wie Paula Beer, Corinna Harfouch und Charly Hübner Lust. Sie sind dabei – denn, ja: Es wird ein Brechtfestival 2021 geben! Das ist nicht selbstverständlich. Es wird anders. Es wird sich vielleicht mal was ändern. Aber es wird passieren – und sogar auf der ganzen Welt sichtbar sein können: #digitalbrecht via www.brechtfestival.de vom 26.2 bis zum 7.3.

Es wird ein Abenteuer – eine Premiere, eine Neuerfindung. Nicht ganz freiwillig, aber gut… wir sind gespannt. Wie sagt der Kuttner immer: Kunst kann keine sichere Nummer sein, sonst ist es langweilig. So ganz frei zitiert…

Die Sitzung selber gibt schon einen Vorgeschmack: die Festivalleiter werden nämlich online zugeschaltet.

Ich schicke jetzt meine Pressemitteilung zum Stand der Dinge raus, die Weihnachtspost ist schon unterwegs … To be continued.

Tina Bühner, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

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14. Dezember

Briefmarke Mutter Courage

13. Dezember

FOKUS MARGARETE STEFFIN

Der kongeniale Majakowski-Übersetzer Hugo Huppert über Margarete Steffin:

„Grete Steffin machte auf mich den Eindruck einer Intellektuellen, die es nicht sein will. Und zwar aus Gründen ihrer immensen Bescheidenheit und eines Vorurteils gegen die zeitgenössische Intelligenzia… Das hat sich bei mir so tief eingewurzelt, daß sie selbst sagte: ‚Ich möchte gar nicht intelligent im Sinne dieser Schicht sein, sondern bestenfalls bin ich nicht dumm und nicht unerfahren und nicht ausgesprochen blöd… Grete Steffin war bezaubernd, wie sie sprach, wie sie lachte, wie sie andere zum Lachen bringen konnte, wie heiter ihr Gemüt war, auch noch in einer Lage, die sie vielleicht schon durchschaute.

(…) wir Literaten und unsere Angehörigen und Freunde besuchten sie ständig. Ich muß sagen, daß ich sie außerordentlich liebgewonnen habe. Wir sprachen vor allem über literarische, geschichtliche und philosophische Dinge. Ihre Gespräche waren von einer ungekünstelten Gescheitheit, die sich sehr oft in Humor verwandelte und für uns alle zwingend zum Lachen war, wo wir doch genau wußten, wie tragisch die Situation ist und wie wenig wir Grund haben, unsere Traurigkeit zu verbergen. Wir waren fortwährend im Zustand der Angst, der Beklemmung, der schrecklichen Erwartungen. Die Hoffnung auf eine Besserung, auf Genesung, schwand eigentlich von Tag zu Tag. Aber Grete war furchtlos. Ich möchte fast sagen, mit Todesverachtung ging sie in den Tod. Ich möchte nicht sagen, daß sie ihn gewünscht hat, aber sie hat sich zu ihm in einer unglaublich philosophisch ausgewogenen Art etabliert, seelisch etabliert. Sie war eine Frau von ungewöhnlichen Qualitäten.

Sie selbst sagte mir: ‚Ich wollte dir noch manches sagen, bevor ich abkratze.’ Dieses Wort hab ich mir eingeprägt.“

(Hugo Huppert, zit. Nach: Hartmut Reiber, Grüß den Brecht! Das Leben der Margarete Steffin, Eulenspiegel Verlag Berlin 2008, S. 329f)

12. Dezember

„Haben Sie von Carola gehört?“

Trickfilm von Irina Rastorgueva und Thomas Martin

„Wir begraben hier die größte deutsche Schauspielerin, CN, gestorben 23 Jahre alt, das strahlendste, was wir gehabt haben, viele, die sie gesehen haben, hatten vorher nicht gewußt, daß der Mensch sich so leicht bewegen könnte. Vor wenigen Jahren, als sie die Bühne betrat, konnte diese Frau nicht auf der Bühne, nicht auf der Straße gehen, hatte sie keine Stimme und vermochte sie nicht zu sprechen, sie hat es gelernt durch Willenskraft. Mit weniger Anstrengung und zu geringerem Nutzen können Weltreiche erobert werden. Und alle diese Anstrengung, Eignung und Plan für diese wenige Zeit! Das Schicksal ist wahnsinnig.

So fingiert Brecht 1928 in einer Grabrede auf Carola Neher einen Tod, der zwar später, dennoch viel zu früh und völlig anders kam, als im Dreigroschenoperjahr zu ahnen war. Was der „ersten aller denkenden Schauspielerinnen“ zustoßen würde steht, auch in der Verbindung von Kunst und Politik exemplarisch für das blutige 20. Jahrhundert.

Konkret ist es die tragische Geschichte einer Schauspielerin: Nach einer vielverheißenden Konstellation aus Kunst, Liebe und Erfolg, einer später sich katastrophal auswirkenden Verquickung von Kunst, Liebe, Politik, findet sie sich gefangen zwischen zwei totalitären Systemen wieder. 1934 emigriert sie von Berlin über Wien und Prag nach Moskau, wird zwei Jahre später wegen trotzkistischer Aktivitäten angeklagt und verurteilt. Sie stirbt, 41 Jahre alt, nahe der kasachischen Grenze in einem Durchgangslager während der Deportation nach Sibirien, an Typhus. Ihre Biographie liest sich wie ein tragischer Gegenentwurf zum Lebenslauf der westwärts ausgewanderten Marlene Dietrichs. Adorno hat es gewusst: „Es läßt sich privat nicht mehr leben.“ Carola Neher hat es erfahren.

Der Film collagiert Aufnahmen des heutigen Berlin mit Archivmaterial und Animationszeichnungen, kombiniert mit dreidimensionalen Modellen und Puppenspiel. Der Animationsteil zitiert Werke von Käthe Kollwitz, Otto Dix, George Grosz, John Heartfield, Wassily Kandinsky, El Lissitzky, Vladimir Tatlin, Alexander Deineka und anderen deutschen und russischen Künstlern zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Briefe von Carola Neher, Brecht, Walter Benjamin, Lion Feuchtwanger und anderen gehen in den Dialogteil ein.

Eine Szene des Films und Skizzen aus dem Storyboard wurden im Februar 2019 im Rahmen der „Brecht-Tage“ im Literaturforum Berlin gezeigt und ausgestellt.

Eine erste Rohfassung des gesamten Films wird beim Brechtfestival 2021 zu sehen sein.

11. Dezember

FOKUS MARGARETE STEFFIN

Lou Eisler über Margarete Steffin 2:

 

Sie war enorm begabt, sie war in jeder Beziehung begabt. Sie hat eine Sprache sofort gelernt, sie hat Dänisch sofort gelernt, konnte Norwegisch und das Stück von Grieg gleich übersetzen. Niemand konnte das. Und als sie in Russland war hat sie sofort Russisch gelernt. Also sie war ungeheuer talentiert.

Als ich da war gerade schrieb sie den Dreigroschenroman ab. Sie hatte auch sehr viele Einwände, die immer diskutiert wurden: und Brecht hat absolut auf sie gehört. Ihr Urteil war ihm ungeheuer maßgebend.

 

https://i1.wp.com/forbiddenmusic.org/wp-content/uploads/2014/07/louise-eisler_10385-w1b10.jpg?ssl=1

10. Dezember

FOKUS MARGARETE STEFFIN

Ruth Berlaus Freund, der Architekt Mogens Voltelen, der nun seinerseits darunter leidet, dass er Berlau an Brecht verliert, hebt die irrationalen Anteile dieser Liebesverwicklungen hervor:

 

„Meine Beobachtungen damals waren die: So wie Steffin abhängig von Brecht war, so war auch Ruth abhängig. Ruth hatte eine snobistische Ader. Es war auch ein bisschen Snobismus in ihrer Beziehung zu Brecht. … Das Snobistische bei ihr war eben, dass Brecht ein großer Mann war, und sie war mit ihm verbunden, war ihm nahe, und das gefiel ihr. Leute, die ein gewisses Ansehen hatten, hatten ihr Interesse.

Mein Eindruck damals war, dass Brecht ziemlich rücksichtslos und stark dominierend war. Er hatte seine eigenen Bedürfnisse und Gesichtspunkte, und danach mussten sie sich alle richten. … Er wollte sich durchsetzen. Und das tat er auch in seinen Beziehungen zu den Frauen, die ihn umgaben. … Und über die Untreue hatte er die Meinung: Ein Mann kann natürlich untreu sein, aber die Frau nicht. Er hatte ein Bild dafür: Wenn ein Mann durch die Stadt geht, dann kann er in jedes Haus eintreten, es gibt nichts, was ihn daran hindern kann. Aber eine Frau darf in ihre eigene Wohnung keine fremden Leute einlassen. …

Das war sein Argument für die unterschiedlichen Verpflichtungen, die Männer und Frauen haben, und das ist natürlich eine Scheinlogik.

Grete Steffin war ein ganz anderer Charakter. Sie war sehr zurückhaltend, dänisch sagen wir »selusleted«, also selbstauswischend, ich weiß nicht ob es ein deutsches Wort dafür gibt. Das heißt, sie beteiligte sich gar nicht an diesen Rollenspielen… Auf so etwas verzichtete sie. Sie wollte gar keinen Eindruck auf andere machen…“

(Quelle: Hartmut Reiber, Grüß den Brecht! Das Leben der Margarete Steffin, Eulenspiegel Verlag Berlin 2008, S.278f.)

9. Dezember

FOKUS MARGARETE STEFFIN

Sabine Kebir über das Verhältnis von Brecht zu Margarete Steffin:

„Nein, Margarete Steffin wurde nicht von Bertolt Brecht ausgebeutet. Und eine große Schriftstellerin wäre sie ohne ihn auch nicht geworden. Ihre Briefe belegen, daß sie bei Brecht in dichterischer Ausbildung war und ihn dafür in politischen Fragen beriet.

(…)

Steffin befand sich bei Brecht in permanenter Ausbildung. Unter seinem Einfluß schrieb sie – teilweise in den Briefen enthaltene – beachtenswerte Gedichte und Kurzprosa. Ihre dramatischen Versuche beurteilte sie selbst als noch im Agitpropstil befangen. Für Brecht wiederum war sie nicht nur wichtig wegen seines unstillbaren Bedarfs an konkreten soziologischen Kenntnissen der proletarischen Welt, sie half ihm auch bei der Erzeugung einer zugleich klassischen wie auch den Arbeitern verständlichen Sprache. Welcher Art ihre Vorschläge waren und wie er sie verwertete, geht aus einem mit seinen Anmerkungen versehenen Brief zu einer Szene zu „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“ hervor.

Von dem zu Ende der fünfziger Jahre in der DDR proklamierten „Bitterfelder Weg“, der ebenfalls Arbeiter- und Hochkultur zusammenführen sollte, unterscheidet sich die künstlerische Symbiose Steffin/Brecht vor allem durch ihre basisdemokratische Ausrichtung. Obgleich Steffin der Partei näher stand als Brecht, schwebte auch ihr eine eher der Wirklichkeit als der Partei verbundene Literatur vor. Weil sich heutige Literaturmode gegen jede soziologische Fundierung sperrt, mag das Projekt Steffin/Brecht antiquiert erscheinen. Dennoch sollte es nicht nur als Beispiel ewigen Geschlechterkampfs gelten. Vielmehr müßte es als geglücktester Teil eines Kapitels deutscher Kulturgeschichte aufgearbeitet werden.

taz, 17.7 1999

(Quelle: https://web.archive.org/web/20010427040651/http://www.geocities.com/paris/2427/taz17071999ms.html

8. Dezember

1921: Brecht ist in Berlin und war im Kino:

„Ich laufe abends in den Kino, sehe nicht, was gegeben wird, oder doch: eine Frau kujoniert ein Schwein. Aber mir fiel das Schicksal des Dienstmädchens ein, das bei Warschauers in einem Loch haust und arbeitet, die Schwindsucht hat, keine Heimat, keinen Mann, das tagelang nichts spricht, und die Wohnung ist finster. Und ich sehe nicht mehr, wo der große Unterschied ist, ich bin weit entfernt von Mitleid, ich meine nur, wie arm wir sind, wie affenhaft und mißbrauchbar, elend, hungrig, geduldig.“

(GBA 26, S. 263)

7. Dezember

FOKUS MARGARETE STEFFIN

Brief von Margarete Steffin an Bertolt Brecht, Paris 1933

(Aus: Margarete Steffin – Prosa, Gedichte, Briefe by Ute Kaiser)

6. Dezember

FOKUS MARGARETE STEFFIN

Lou Eisler, langjährige Ehefrau Hanns Eislers, berichtet:

 

Dieser Jemand ist Walter Benjamin, der in Paris an seinem kommentierten Briefband »Deutsche Menschen« arbeitet. Drei Jahre später schickt er das Buch, »das nun endlich gedruckt ist«, mit einer Widmung an Grete Steffin und schreibt ihr:

»Sie erinnern sich gewiß noch, wie Sie vor zwei [sic] Jahren im Palace-Hotel an dem Manuskript gearbeitet haben.«

Seinen Schrecken hat er überwinden können. Der bald darauf einsetzende Briefwechsel mit Steffin zeugt von gegenseitigem Verständnis und einem freundschaftlichen Verhältnis, das in Paris unter anderem mit gemeinsamen Kinobesuchen begründet wird.

(Hartmut Reiber, Grüß den Brecht! Das Leben der Margarete Steffin, Eulenspiegel Verlag Berlin 2008, S.199)

5. Dezember

FOKUS MARGARETE STEFFIN

Therese Giehse, die große Münchner Volksschauspielerin, Freundin von Klaus und Erika Mann, die „Mutter“ in der Züricher Uraufführung von Brechts „Mutter Courage“, Tscharlies jüdische Oma – liest Brechts Nachruf auf Margarete Steffin.

„Nach dem Tod meiner Mitarbeiterin M.S.“:

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4. Dezember

FOKUS MARGARETE STEFFIN

Das Augsburger Brechtfestival 2021 will sich schwerpunktmäßig mit den Frauen Brechts beschäftigen. Partnerinnen, Freundinnen und Mitarbeiterinnen, bei denen die Geschlechts-, Liebes- und Produktionsverhältnisse mit Brecht munter durcheinandergingen. Im Verlauf dieses Monats werden wir uns in fünf, sechs kurzen Beiträgen unseres Arbeitsjournals daher mit Margarete Steffin beschäftigen.

Eisler nannte sie ein „ungeheures Talent“, Brecht eine „gute Genossin“ und „kleine Lehrerin“.

Am 30.6.1942 notiert er in seinem Arbeitsjournal:

„ich habe nichts getan und werde nichts tun, den verlust gretes zu ‚verwinden’. Sich mit geschehenem aussöhnen – wozu sollte das gut sein? Da sind viele enden an diesem strick, an die noch angeknüpft werden muß. Hitler hat sie umgebracht und der hunger. Hitler lebt noch, und der hunger beherrscht die welt. Bei meinem versuch, sie zu retten, bin ich geschlagen worden, und es ihr leicht zu machen, habe ich nicht vermocht, die gelungenen werke soll man vergessen, aber nicht die mißlungenen.“

(GBA 27, S.110)

3. Dezember

„Wiewohl nichts so gespenstig ist, wie das Mittagslicht, steht es doch statistisch fest, daß der Monat Dezember die meisten Selbstmorde hat.“

(GBA 26, S. 288)

2. Dezember

Die Töchter sind im Bett und schlafen: Corinna und Roland von der Bolschewistischen Kurkapelle Schwarz-Rot singen in Vorbereitung auf das Brechtfest 2021 das „Wiegenlied No 2“ von Brecht und Eisler:

Info zur Band: https://www.bolschewistischekurkapelle.org

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1. Dezember

70 Fassaden für Filmaufnahmen gesucht – Augsburgs Stadtkulisse wird zur Bühne für das Brechtfestival!

Für einen künstlerischen Beitrag zum Brechtfestival 2021 suchen wir bis zu 70 Häuser- und Gebäudefassaden im Augsburger Stadtgebiet. Gesucht werden alle möglichen Fassaden, egal ob mit oder ohne Fenster. Es geht darum, das mannigfaltige Stadtbild festzuhalten mit allem, was es zu bieten hat: vom Prachtbau bis zum Zweifamilienhaus über genossenschaftliche Wohnanlagen, Kirchen, Hochhäuser, Industrieanlagen und malerische Häuserzeilen. Auch die Größe und Höhe des Hauses spielt keine Rolle – Hauptsache vielseitig!

Mitmachen:

Interessierte Eigentümer*innen wenden sich bis 8.12.2020 mit einem Digitalfoto der Frontalansicht des Gebäudes per E-Mail an popkultur@augsburg.de.

Konkret geht es um eine gemeinsame künstlerische Filmarbeit von Bert Zander und der Berliner Brass-Band »Bolschewistische Kurkapelle Schwarz Rot« für das Brechtfestival 2021, in der Augsburgs Stadtbild eine tragende Rolle spielen wird. Der Regisseur und freie Videogestalter Bert Zander gehört zu den gefragtesten Videokünstlern des deutschsprachigen Theaters. Seine Arbeiten waren u. a. am Thalia Theater Hamburg, an der Berliner Volksbühne, bei den Salzburger Festspielen und am Burgtheater Wien zu sehen. Er kommt im Dezember zu Filmaufnahmen nach Augsburg. Die Drehorte werden bereits im Vorfeld von Bert Zander ausgewählt.

30. November

ERWARTE SIE MITTWOCH WENN MÖGLICH 9.30 ZU EINEM GESPRÄCH – BERLINER ENSEMBLE HELENE WEIGEL –

Er ist gekommen um zu bleiben: Mit 22 Jahren nimmt Schauspieler Werner Riemann ein Vorstellungsgespräch als Kleindarsteller am Berliner Ensemble wahr, heute zählt er zu den Urgesteinen der Hauptstadtbühne. Das „Gedächtnis des Hauses“ gewährt euch auf rbb Kultur heute einen besonderen Blick hinter die Kulissen und führt euch von Helene Weigels Direktionszimmer bis unter die von sowjetischen Panzerrädern betriebene Drehbühne.

Video: Die Geschichte des Berliner Ensembles

29. November

Brecht über das Sprichwort „In der Not frisst der Teufel Fliegen“:

„Das Unangenehme an den von der Not servierten Fliegen ist es gewöhnlich, daß man so ungeheuer viel davon braucht, bis man mengenmäßig ein mittleres Kotelett zusammen hat, sie sind so klein.“

(aus: Brief an Erwin Piscator, Februar/März 1937, GBA 29 S.13)

28. November

Juliette Gréco, die in diesem Herbst verstorbene „grande dame de la chanson“, mit „La fiancée du pirate“ – ihrer am 19. Dezember 1965 live mitgeschnittenen Interpretation von Brechts Ballade „Seeräuber-Jenny“ aus der Dreigroschenoper.

Credit: Ron Kroon / Anefo

27. November

„Ja wat denn? Ja wat denn? Wat ist dat für ne Stadt denn?“ Im Oktober 1928 präsentierte sich die damalige Reichshauptstadt Berlin – finanziert durch eine Kampagne der Elektroindustrie – eine Woche lang als zukunftsweisende Lichterstadt. Kurt Weill und Bertolt Brecht sind die Stars beim Festival „Berlin im Licht“. Kurt Weill komponierte aus diesem Anlass seinen Lichtsong, dessen Text von Bertolt Brecht stammt. BR Klassik nimmt euch im Radiobeitrag mit zurück in den Herbst 1928

26. November

Ihr sucht einen Mediathek-Tipp für kalte Winterabende und seid bereit für eine Portion Nostalgie? Der SWR hat sein umfangreiches Archiv durchforstet und präsentiert der Öffentlichkeit über den ARD-Mediathekenkanal „SWR Retro“ kulturhistorische Schätze aus über 60 Jahren Hörfunk- und Fernsehgeschichte. Heutige Entdeckung: ein Bericht über die Premiere von Peter Palitzschs Film „Mutter Courage“ in der Inszenierung durch das Berliner Ensemble in Stuttgart (4 Min.).

25. November

In Hanns Eislers „Balladenbuch für Gesang und Klavier – op. 18/1-6“ findet sich mit der auf einem Brecht-Text fußenden Ballade „Abortion is illegal“ / „Ballade zum § 218“ (1929) auch ein Protestsong gegen den in der Weimarer Republik gültigen Abtreibungsparagraphen: Ballade zu Paragraph 218 (1929)

24. November

Premieren-Streaming über Twitch, Virtual-Reality-Inszenierungen, Etablierung zukunftsträchtiger Erzählformen – als „Projektleiterin digitale Entwicklung“ ist Theaterwissenschaftlerin Tina Lorenz seit diesem Herbst beim Staatstheater Augsburg für Digitalisierungsprozesse zuständig. Mehr aus der Arbeitswelt einer „Digitalisierungsbeauftragten“ im Kulturbetrieb im Beitrag der Süddeutschen Zeitung.

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